32 Organisationen fordern von Schulsenator Rabe: Gleiches Recht auf Schulwahl für Eltern von Kindern mit Behinderung
Vor zehn Jahren wurde die UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Behinderung beschlossen. Seit 2010 wurde das Recht auf Inklusion im Hamburgischen Schulgesetz verankert. Trotzdem werden die Eltern von Kindern mit Behinderung in Hamburg bzgl. des Rechts auf Schulwahl massiv diskriminiert.
Während nur 5,5% aller Kinder ihre Wunschschule in Klasse eins und fünf nicht erhalten, sind es bei Kindern mit Behinderung 31%, d.h. fast sechsmal so viele (s. Bürgerschaftsdrucksache 21/16947).
Diese Diskriminierung beruht zum einen auf den behördlichen Verordnungen und Handreichungen zur Schulwahl. Zum anderen gibt es viele rechtswidrige Entscheidungen der Schulbehörde, die gegen das Hamburger Schulgesetz, die entsprechende behördliche Richtlinie und Handreichung sowie gegen einen Beschluss des Hamburger Oberverwaltungsgerichts zum Thema nächstgelegene Schwerpunktschule verstoßen.
Einschränkung des Schulwahlrechts der Eltern von Kindern mit Behinderung durch behördliche Richtlinie und Handreichung
In der Richtlinie zur Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Hamburger Schulen vom 9.11.2017 heißt es in §3(2) „Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Hören oder Sehen (spezielle Förderbedarfe) sollen integrationserfahrene und entsprechend ausgestattete allgemeine Schulen – Schwerpunktschulen – oder spezielle Sonderschulen besuchen.“
Damit wird das Recht auf Schulwahl auf weniger als ein Fünftel aller Schulen eingeschränkt.
Für das Schuljahr 2019/20 folgten 80% der betroffenen Eltern dieser sehr einschränkenden Sollbestimmung. Trotzdem wurde fast jedem dritten Erstwunsch nicht entsprochen.
Ein Grund dafür liegt darin, dass die Aufnahmekapazität der Schwerpunktschulen für Kinder mit Behinderung seit 2018/19 halbiert wurde. Bis 2017/18 hieß es in der Handreichung zur Organisation der Aufnahme zur Klasse 5: „Zuerst erfolgt die Vorabaufnahme für Schülerinnen und Schüler mit speziellen Förderbedarfen (geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Hören, Sehen und Autismus).“ So konnten bis zu vier Kinder mit Behinderung pro Klasse in Schwerpunktschulen aufgenommen werden. In den nachfolgenden Jahren wurde diese Quote halbiert. Dadurch wurde das Wahlrecht der Eltern von Kindern mit Behinderung noch weiter eingeschränkt.
Rechtswidriger Umgang mit dem Schulwahlrecht der Eltern von Kindern mit Behinderung
Viele Ablehnungsbescheide der Schulbehörde bzgl. der Erstwünsche für das Schuljahr 2019/20 enthalten folgende rechtswidrigen Praktiken:
• Bescheide ohne konkrete auf das jeweilige Kind bezogene Begründung für die Ablehnung.
• Verletzung behördlicher Vorgaben zur Reihenfolge der Erstwunschberücksichtigung wie vorhandene freie Schulplätze, Geschwisterkinderregelung und Schulweglänge.
• Verletzung des Oberverwaltungsgerichtsbeschlusses vom 31.8.17 (AZ:1 Bs 190/17) zum Thema Schulweghilfekosten und nächstgelegene Schwerpunktschule. (Der Beschluss des OVG besagt sinngemäß: Die Mehrkosten der Schulweghilfe zur Erstwunschschule können nur dann eine Ablehnung des Erstwunsches rechtfertigen, wenn sie unverhältnismäßig hoch sind. Wenn die Eltern auf Schulweghilfe in Form einer Schulbusbeförderung verzichten, entstehen keine unverhältnismäßig hohen Mehrkosten. Wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verzicht auf Schulweghilfe nur vorgeschoben ist, ist auch die prinzipielle Möglichkeit eines späteren Antrages auf Schulbusbeförderung kein Grund für die Ablehnung einer Aufnahme in die Erstwunschschule.)
Forderungen zur Stärkung des Schulwahlrechts der Eltern von Kindern mit Behinderung
Wir fordern von Senator Rabe und der Schulbehörde folgende Maßnahmen, die das Schulwahlrecht der Eltern von Kindern mit einer Behinderung stärken und deren Diskriminierung beenden.
1. Wenn der Erstwunsch keine Schwerpunktschule ist, muss der Ablehnungsbescheid eine auf das betreffende Kind bezogene Begründung enthalten, warum die gewünschte Schule für die „hinreichende Förderung und Betreuung“ dieses Kindes nicht geeignet ist (s. Richtlinie zur Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Hamburger Schulen §3(4)1). Nur so können die Eltern einen substanziellen Widerspruch formulieren, um ihr Recht zu wahren.
2. Wenn der Erstwunsch eine Schwerpunktschule ist, muss der Ablehnungsbescheid eine auf das betreffende Kind bezogene Begründung für die Nichtaufnahme enthalten.
3. Schwerpunktschulen müssen – wie bis 2017 üblich – pro Klasse nicht nur zwei, sondern bis zu vier Kinder mit einer Behinderung aufnehmen können. Nur so können die Eltern einen substanziellen Widerspruch formulieren, um ihr Recht zu wahren.
4. §3(4)2 der Richtlinie zur Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Hamburger Schulen muss wie folgt geändert werden:
„Schülerinnen und Schüler mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung, körperliche und motorische Entwicklung, Hören oder Sehen (spezielle Förderbedarfe) sollen können integrationserfahrene und entsprechend ausgestattete allgemeine Schulen – Schwerpunktschulen – oder eine andere für das betreffende Kinder geeignete allgemeine Schule oder spezielle Sonderschulen besuchen.“ (Unterstrichene bzw. durchgestrichene Textteile beinhalten die geforderte Veränderung. Die Eignung der Schule bezieht sich auf die Kriterien des §3(4) der o.g. Richtlinie.)
5. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes vom 31.8.17 (AZ:1 Bs 190/17) zu Schulweghilfekosten und nächstgelegener Schwerpunktschule wird von der Schulbehörde konsequent umgesetzt.
Unterzeichner
Alternativer Wohlfahrtsverband SOAL e. V.
Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus Hamburg e.V
Autismus Hamburg e.V.
Deutscher Gewerkschaftsbund Hamburg
Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Hamburg
Diakonisches Werk Hamburg
dlh Lehrergewerkschaften Hamburg
Eine Schule für alle e.V.
ElbschulEltern für hörbehinderte Schüler in Hamburg
Elternverein Hamburg e.V.
Flachsland Zukunftsschule gGmbH
Ganztagsschulverband, Landesverband Hamburg
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
GGG Verband für Schulen des gemeinsamen Lernens e.V.
Grundschulverband e.V. Landesgruppe Hamburg
Hamburger Arbeitsassistenz
Initiative Gute Inklusion
Hamburger Bündnis für schulische Inklusion
KIDS Hamburg e. V. Kontakt- und Informationszentrum Down-Syndrom
Kinderwelt Hamburg e.V.
LAG für behinderte Menschen e.V.
LAG Eltern für Inklusion e.V.
LEA Landeselternausschuss Kindertagesbetreuung
Leben mit Behinderung Hamburg Elternverein e.V.
Paritätischer Wohlfahrtsverband
Patriotische Gesellschaft von 1765
Schülerinnenkammer Hamburg
Sozialverband Deutschland e.V.
Verband Hamburger Schulleitungen
Verband Integration an Hamburger Schulen
ver.di Hamburg Fachbereich Bund, Länder und Gemeinden
Vereinigung der SchulleiterInnen der Stadtteilschulen in Hamburg